In China essen sie den Mond

Wenn der 15. Tag des achten Monats im chinesischen Kalender ansteht, ist es soweit: Mittherbstfest (中秋節 zhōngqiūjié). Dann sind alle Chinesen in Feierlaune – des Mondes wegen. Weil an diesem Tag der hellste Vollmond des Jahres schein, heißt es auch Mondfest; das zwetwichtigste Fest nach Neujahr. Passenderweise werden dazu Mondkuchen mit verschiedenen Füllungen gegessen – sozusagen die Christstollen der Chinesen. Der Mond steht für Frieden und Wohlstand der ganzen Familie. Denn der Vollmond symbolisiert mit seinem geschlossenen Kreis auch den Zusammenhalt innerhalb der Familie. Daher das Sprichwort: “Ist der Mond rund, ist auch der Kreis der Menschen rund” (中秋月圓,人團圓 zhōngqiū yuè yuán, rén tuányuán). So wird das Fest zu Ehren des Mondes traditionell im Kreise der Familie begangen.


Die Palette der Mondbäckerei reicht dabei von fruchtigen und süßen Naschereien bis hin salzigen Überraschungen wie Wachteleier und Fleisch. Traditionell sind die Mondkuchen man einem Eidotter und Fleisch gefüllt, während die süße Variante nach Süßkartoffel schmeckt. Doch dem Erfindergeist scheinen keine Grenzen gesetzt und so werden jedes Jahr neue Varianten erfunden: mit grüner oder roter Bohnenpaste, Gemüse, Früchten von Ananas über Litschi, Kürbis und Kumquat bis Durian, Sesam, Lotus, Nüsse, Samen. Beliebt ist auch die gemischte, süß-herbe Variante: Gemäß des yin-yang-Prinzips stößt man dort unter Teig und roter Bohnenpaste auf einen Eidotter. Also vorher genau die Verpackung studieren, sonst wird aus dem Mondkuchen ein Überraschungsei. Denn von außen sind sie meist alle nett anzusehen mit ihren eingepressten Schriftzeichen, die mal die Geschmacksrichtung verraten, mal dem Esser Glück wünschen oder mit dem Mond oder einem Hasen verziert sind.

Mondkuchen sind nicht nur lecker. Angeblich dienten sie einst sogar einer Rebellion auf dem chinesischen Festland. Damals wollten die Han die Mongolen und deren Yuan-Dynastie (1271-1368) stürzen. Ein Aufstand war geplant, doch haperte es an der Kommunikation zwischen den Aufständischen. Der militärische Berater der Han-Volksarmee, Liu Bowen 劉伯溫, soll damals auf die Idee gekommen sein, Zettel in Mondkuchen zu verstecken. Die geheime Botschaft darauf lautete: “Aufstand in der Nacht des Mondfestes”. Der Aufstand brach tatsächlich aus und die Yuan- Regierung wurde gestürzt. Seitdem werden die Mondkuchen auch in Erinnerung an diesen Aufstand gegessen.

Doch damit der mondrunden Symbolik noch nicht genug. Traditioneller chinesischer Feiertag, dann auch noch mit leckerem Essen: da bin ich dabei! Schon Wochen vorher stapeln sich Mondkuchen bis in den Himmel. Das beste, was einem passieren kann, ist eine Essensenladung. Was da wartet, ist eine Tafel die sich unter den leckersten Spezialitäten biegt, ein Festtags-Menü á la Mama, Oma, Tanten und jeder anderen Verwandten, sie sich für die Feierlicketen auf den Weg zur Familie heim gemacht hat. Auch Pomelos, die ausgewachsene Variante der Orange, finden zahlreich Einzug die feierfreudigen Münder der Chinesen – weil die Pomeloas so passend an den kugeligen Mond erinnern. Und die kunstvoll geöffnete Schale bekommt dann das jüngste Familienmitglied aufgesetzt. Aus welchem mythologisch, magisch, gehemnisumwitterten Grund? Nichts da, das gilt schlicht der Belustigung aller Anwesenden.

Der Mond wird aber nicht nur gegessen, man betrachtet ihn auch.
Den Dichter Li Bai aus der Tang-Dynastie (618 – 907) hat der Mond zu über 320 Gedichten inspiriert. Wohl in der Ferne vom Heimweh geplagt entstand eines seiner bekanntesten Werke überhaupt:

靜夜思 jngyèsī
(
李白 Lǐ Bái 701-762)

床前明月光 chuáng qián míng yuè guāng

疑是地上霜 yǐ shì dì shàng shuāng

舉頭望明月 jǔ tóu wàng míng yuè

低頭思故鄉 dī tóu sī gù xiāng

Eine der zahlreichen Übersetzungen lautet:

Nachtgedanken
Vor dem Bett erscheint das helle Mondlicht,
Ich dachte es sei Raureif auf dem Boden.
Ich hebe meinen Kopf und betrachte den hellen Mond,
Ich senke den Kopf und denke an die Heimat.

Um den mythologischen Hintergrund der Mondfeierei ranken sich die tollsten Geschichten.

http://youtu.be/HyZAWq5Qnxc

Deshalb wird zum Mittherbstfest auch dem Gott für die lokale Landwirtschaft und Gesellschaft, dem Erdgott, gehuldigt. Die Menschen danken ihm für die Ernte und bitten um weitere gute Ernten.
Auch um den Ursprung des Mondfestes ranken sich etliche Legenden. Natürlich handelt eine auch von der Liebe – und vom Klimawandel.
Diese Legende heißt “Chang’e fliegt zum Mond” (cháng’é bēnyuè 嫦娥奔月).

Und das kam so: Alles hatte damit begonnen, dass sich zehn Sonnen am Himmel abwechselten, um auf die Erde zu scheinen. Doch eines Tages strahlten alle zehn gleichzeitig auf die Erde und drohten dort alles zu verbrennen.

Da war Hou Yi 后羿 zur Stelle und schoss mit seinem Pfeil und Bogen neun Sonnen ab. Der einzig verblie- benen befahl er, jeden Tag pünktlich auf- und unter- zugehen.

Der Held ging nicht leer aus und bekam für seinen erden-rettenden Einsatz vom Kaiser eine Pille geschenkt, die Unsterblichkeit versprach. Doch die Pille kam mit einem “aber”: Hou Yi sollte die Pille nicht sofort nehmen, sondern sich erst durch einjähriges Beten und Fasten auf die Unsterblichkeit vorbereiten. Hou Yi tat wie’s ihm befohlen und versteckte die Unsterblichkeitspille zuhause. Doch da war auch seine Frau Chang’e. Kaum war der Mann mal wieder außer Hause, schluckte Chang’e die Pille – und schwebte alsbald schwerelos gen Himmel.

In einer wohlwollenderen Version schluckt Chang’e die Pille aufopferungsvoll, weil ein Bogenschützen-Lehrling ihres Mannes sie zwingen wollte, ihm die Pille zu geben. Um das zu verhindern opferte sich Chang’e.

Hou Yi folgte ihr, aber aufgrund widriger Windverhältnisse musste er seinen Flug abbrechen und zur Erde zur ückkehren. Chang’e entledigte sich ihrerseits der Pille und landete auf dem Mond. Dem ortsansässigen Hasen befahl sie dann, eine neue Pille herzustellen, mithilfe derer sie zu Mann und Heim auf die Erde zurückkehren könne.
Damit ist der Hase immernoch beschäftigt.

Seitdem ist Chang’e die Göttin des Mondes. Hou Yi hat sich seinerseits auf der Sonne niedergelassen. Deshalb steht die Sonne für das männliche Yang, der Mond für das weibliche Yin. Nur ein Mal im Jahr kann Hou Yi seine Chang’e besuchen: am Mondfest. Deshalb ist dann der Mond auch besonders hell und schön.

Was es mit dem erwähnten Hasen im Mond auf sich hat? Das ist der Jade-Hase (玉兔 yùtù) und der kam so auf den Erd-Trabant:
Es war einmal ein Gott, der die Höflichkeit der Tiere des Waldes testen wollte. Also verwandelte er sich in einen alten Mann in zerlumpter Kleidung. Und er wurde nicht enttäuscht: Bär, Affen, Vögel, Fuchs, sie alle teilten ihr Essen mit dem vermeintlichen hungrigen Alten. Nur der Hase hatte verzweifelt seinen Bau nach etwas Essbarem abgesucht – vergeblich. Also sprang er selbst ins Feuer und brutzelte sich zu einer Mahlzeit für den verkleideten Gott. Von so viel Hilfsbereitschaf und Großzügigkeit angetan, ließ dieser den Hasen als Jadehasen im Mondpalast auferstehen.

Doch Chang’e und der Jade-Hase sind nicht allein auf dem Mond. Dritter im Bunde wurde der Holzfäller Wu Gang (吳剛 Wú Gāng). Auch er versuchte unsterblich zu werden. Allerdings war er ein recht fauler Lerner was die notwendgen Theorien anging. Diese Beleidigung ließen sich die Götter aber nicht gefallen und verbannten ihn auf den Mond. Sein Rückfahrticket: er sollte einen 1665 Meter grossen Baum auf dem Mond fällen. Gelänge ihm dies, würde er unsterblich werden.

Dieses Mal gab Wu Gang alles. Allerdings wuchs der Baum immer wieder nach. Doch Wu Gang hat nie aufgegeben – wie Sisyphos. Der Baum seinerseits auch nicht und wächst auch stets wieder nach. Und so kann man in wolkenlosen Nächten auch den Schatten dieses Kirschbaumes beobachten.

Auch auf Taiwan ist das Mondfest eine lebendige Tradition. Die Taiwaner begehen den Feiertag nicht einfach, sie feiern und leben ihn. Und halten das Mondfest durch neue Traditionen am Leben. Seit Mitte der Achtziger assoziiert man hier noch etwas mit dem Mondfest: Grillen.

Zu der Feierlaune trägt sicher auch die Tatsache bei, dass der Tag des Mondfestes ein offizieller Feiertag ist.

中秋節快樂 (zhōngqiūjié kuàilè) – Alles Gute zum Mondfest!

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